Aufbruch zu neuer interkulturellen Performancearbeit

„Mein Theater ist ein Fluss,
der durch Welten fließt“
Shamal Amin


Keine Kultur lebt am Rand und keine Kultur soll von diesem Gesichtspunkt und unter diesem Blickwinkel betrachtet werden. Kulturelle Hindernisse können nur dann überwunden werden, wenn es darum geht, durch einen Austausch, der auf einer wirklich menschlich offenen Ebene basiert, eine lebendige Begegnung zwischen den Kulturen herzustellen. Dieser Austausch soll nicht auf der Übernahme von Elementen aus fremden Kulturen und Theatertraditionen basieren, sondern sich auf der Ebene der menschlichen Kommunikation an sich ereignen. Diese beruht auf dem Prinzip der Wechselseitigkeit und kann nie einseitig funktionieren, es muss gleichzeitig Raum für das Nehmen und das Geben, für mehr gegenseitigen Respekt geschaffen werden.


Interkulturalismus kann nicht wirken und bedeutsam sein, wenn er nicht tief in die gesellschaftliche Struktur einzudringen vermag. In diesem Kontext versteht sich, dass es in Sachen der Kultur, Religion wie auch der Kunst, keine “einfacheren” Völker gibt, sondern höchstens Völker, die eine einfachere Technologie haben als die anderen. Das Fantasie- und Gefühlsleben der Menschen im Bezug auf Religion, Kunst und Kultur ist immer und überall reich und komplex vorhanden (so auch Victor Turner), deshalb ist Austausch und Kommunikation immer auf der Ebene der Gleichberechtigung anzusiedeln. Wenn der Interkulturalismus neue Dimensionen und Dynamik gewinnen soll, lässt sich die Frage nach Funktion und Bedeutung einer interkulturellen Arbeit, besonders im Theater, nicht allgemein beantworten.


Wir im Lalish Theaterlabor/Forschungszentrum für Theater und Performance-Kultur verstehen unsere Forschungsarbeit als anderen Weg der interkulturellen Arbeit im Theater, der die soziokulturellen Hintergründe der multikulturellen MitarbeiterInnen beim Arbeitsprozess, neben Technik und Ästhetik, berücksichtigt. Das heißt, das Lalish Theaterlabor versucht in diesem Bereich das erstarrte Konzept und den maschinellen Rationalismus des Euro-Zentralismus zu überschreiten und zu dekonstruieren. Interkulturalismus im Lalish Theaterlabor bedeutet nicht, dass Künstler aus verschiedenen Kulturen einander in einem Theaterhaus und Theaterprojekt bloß begegnen. Interkulturalismus wird somit nicht im klassischen Sinn verstanden, der nur Materialsammlung für eine bestimmte Aufführung zum Ziel hat, auch nicht in dem Sinn, wo Ländernamen der Performer zum bloßen Dekor im Programmheft verkommen. Sondern Interkulturalismus bedeutet für uns, die fremde Welt in der eigenen Welt wieder zu finden (so Eva Wallensteiner), richtiges Geben und Nehmen. Wir sind der Ansicht, dass wir auf der Suche nach der Natur der Anderen zuerst uns begegnen würden, und auf der Suche nach sich selbst, würden wir schließlich die Natur der Anderen finden. Wir begreifen die Anderen, weil wir in ihnen begriffen werden. D.h., dass interkultureller Austausch in unserer Forschungsarbeit auf dem Konzept der „Selbstentdeckung“ basiert.


Interkulturalität entsteht dort, wo ein richtiges Treffen zwischen den Individuen aus unterschiedlichen Kulturen stattfindet. Wo Individuen ihre eigene Kultur voll bewusst präsentieren können, so dass sie verständlich ist, so dass sie hörbar, fühlbar, tastbar und sehbar wird. Interkulturalität kann ohne das Wissen über die eigene Identität nicht entstehen und nicht funktionieren. Die interkulturelle Zusammenarbeit schärft das Bewusstsein für das Eigene, so wie sie die Bereitschaft zum „Aufeinandertreffen“ und „gegenseitigen Austausch: Geben und Nehmen“ ermöglicht. Die Wahrnehmung der Anderen erleichtert uns den Weg zur „Sich-Erforschung“ und folglich den Weg der „Sich-Äußerung“. Gerade aus diesem Gesichtspunkt stellen wir bei unserer jährlichen Forschungsarbeit die persönlichen Erfahrungen und die Erlebniswelt, der aus verschiedenen Kulturen kommenden Feiernden, in den Mittelpunkt der Erforschung. Das Individuum und seine Individualität stehen im Zentrum der Arbeit. Daher, wenn ein Feiernder nicht mehr bei einem Forschungsprojekt ist, kann sein Platz von keinem anderen ersetzt werden. Diese Person ist mit allen seinen Sinnen, Erinnerungen, Gedächtnissen, Geschichten, Emotionen, mit seinem ganzen Körper und seiner ganzen Stimme anwesende, und sei bringt dadurch eine Handlung zum Ausdruck, eine andere Person kann dies nicht nachspielen, sei muss neue Handlungen schaffen, die aus ihr und von ihr selbst entspringen werden.

Für das Lalish Theaterlabor bedeutet Interkulturalismus also nicht nur einen Austausch zwischen Kulturen, der von Individuen oder Gruppen durchgeführt wird oder sich international - also im Gegensatz zum staatlich kontrollierten Austausch zwischen Nationen-  geriert. Er ist vor allem Selbstentdeckung wie Überwindung und Auflösung der Dualitäten Hier/Dort, Innen/Außen, Wir/die Anderen, Hochkultur/einfache Kultur, was es auch in Kontrast zu einem Kulturbegriff bringt, der eine bloße Unterschiedenheit zu Begriff des Nationalismus statuiert wie im Sinne Richard Schechners. Damit ist der Versuch gegeben, den eurozentristischen Kultur-Begriff zu hinterfragen und die wechselseitigen kulturellen Beziehungen als Schwerpunkt zu fokussieren.

Die Gründung des Lalish Theaterlabor/Forschungszentrum für Theater und Performance-Kultur im Jahre 1998 in Wien,  von Shamal Amin und mir erfolgte nach unseren langjährigen, experimentellen  Forschungsprojekten, von 1985 bis 1991 im Orient am „Kultur-Physischen Konzept“, von 1992 bis 1998 in Österreich und ganz Europa am Konzept „Erforschung performativer Kultur und ihrer Techniken“.

Diese Gründung war ein methodisches Bedürfnis, ein Aufbau neuer Weltanschauung und neuer Beziehung zu Menschen und zur Welt, und gleichzeitig ein Versuch die Grundstruktur des westlichen Theaterkonzeptes, im engen und im weiteren Sinn, in Frage zu stellen. Die Ablehnung der „Autorenschaft“, und die Dekonstruierung der heiligen Begriffe wie „Regisseur“, „Schauspieler“ und „Aufführung“ gelten als Übergang zur Entwicklung neuer Wege, sowohl für Performance, als auch für interkulturelle Arbeit. Die Begrifflichkeiten wie „Teilnehmender Beobachter“, „Feiernde“, „Performative Treffen“ anstatt „Regisseur“, „Schauspieler“, Aufführung“ sind keine rein linguistischen Wechselspiele, sondern eng mit der Arbeitsstruktur und dem Forschungsprozess verbunden.

Die Lalish Forschungsprojekte wurden in Österreich, Deutschland, Holland, England, Frankreich, Schweiz, Schweden, Dänemark, Polen, Griechenland, Ukraine, Kosovo, Ägypten, Tunesien, Iran und Japan durchgeführt und von verschiedenen Institutionen, internationalen KünstlerInnen, TheaterwissenschaftlerInnen und -Anthropologen als anderer Weg zu interkultureller und experimenteller, ritueller Performancearbeit betrachtet.

Mag. Dr. Nigar Hasib

Performerin und künstlerische Leiterin des Lalish Theaterlabors