Meine Begegnung mit Ohno Kazuo
Juli 2002 reiste ich nach Japan/Tokio, um am JALLA Festival teilzunehmen. Dabei kam es, dass ich einen Butoh Tänzer kennen lernte, der auch an dem Festival teilgenommen hatte. Er sah meine Performance und fragte, ob ich nicht Interesse hätte, diese Performance auch im Dance Studio von Ohno Kazuo in Yokohama durchzuführen! Und er wäre bereit alles zu organisieren. Natürlich und ohne Verzögerung, habe ich zugesagt. War nicht so ganz leicht, aber es wurde alles per Telefon erledigt und der Termin wurde für Dienstag, den 16.Juli festgelegt. Von Tokio aus sollten wir mit dem Zug nach Yokohama fahren. Ein japanischer Journalist begleitete uns und sogar die Zugtickets wurden bezahlt.
Ohno Kazuo tanzt für Nigar Hasib mit den Händen
Ohno Kazuo und sein Sohn Yoshito bei der Beobachtung der Performance"Sonnentanz"
Nigar Hasib in Aktion
in Kazuo Ohno Butoh Dance Studio, Yokohama/Japan 2002
Wir wurden sehr herzlich empfangen und in das Studio gebracht. Ein sehr einfacher, nicht all zu großer Raum, voller Requisiten, Schränke, Kleider, Materialien, einem Kühlschrank, Herd, Waschbecken, CD-Player, einem Sessel, einem niedrigen Tisch und noch einiges mehr.
Es war ein Dienstag und das Studio hatte offene Tür. Drei Mal in der Woche gab es offene Arbeit, an der jeder teilnehmen konnte. Wir waren die ersten. Ein Tänzer war gerade mit der Raumvorbereitung beschäftigt und wischte den hölzernen Boden in sehr rhythmischen Bewegungen ab.
Langsam kamen andere dazu. Die warfen einen Beitrag in eine Box ein, die an der Wand bei der Eingangstür angebracht war. Barfuss und auffallend ruhig begannen sie zu arbeiten. Diese Arbeit wurde kommentarlos von Yoshito, Kazuo Ohno’s Sohn, geleitet.
Die Atmosphäre war derart bewegend, dass ich, ohne es zu wissen, zu weinen angefangen habe!!
Eine lange Geschichte voller Freude und Schmerzen, zwei Weltkriege, Hiroschima, Applaus, Liebe, Erfolge, Ablehnungen und vieles mehr, zogen wie ein Filmstreifen vor meinen Augen vorbei.
Erstaunlich sagte ich mir in diesem Moment: Oh, du Mensch, wie groß du bist, wie du an deinen Träume und Zielen festhältst und wie kämpferisch du bist, um sie zu verwirklichen. Wie du dein körperliches Können bis zum letzten Atemzug zeigst, wie du deinen müden Körper nicht sich selbst überlassen kannst!
Dann war es soweit, dass wir unsere Performance zeigten. Alle haben sich bereitgestellt, um bei der Raumvorbereitung zu helfen. Eine einzige Sache für mich war wichtig; meine Begegnung mit diesem Menschen, meine Geschichte auf seine Geschichte, mein Leben auf seines, meine Kultur auf seine Kultur, meine Erfahrung auf seine, meinen „Sonnentanz“ auf seinen „Tanz der Dunkelheit“ treffen zu lassen!
Der Raum war sehr klein und ich befand mich den Anwesenden, die nun im Kreis auf dem Boden saßen, sehr nahe gegenüber. Die Decke war niedrig. Wir waren insgesamt 24 Personen im Raum. Alles war sehr eng und trotzdem fühlte ich so eine unendliche Breite, wenn ich Kazuo Ohno so ruhig auf seinen Sessel sitzen sah, wie er zuhörte und zuschaute.
Ohno Kazuo 2002 in seinem Butoh Dance Studio in Yokohama/Japan
Nachdem die Performance fertig war, applaudierten und gratulierten uns alle. Es wurde sehr schnell etwas zum Essen und Trinken vorbereitet, es gab Sushi und Sake.
Es schien mir, als ob sein Herz ein Vogel wäre und er wolle ihn aus einem Käfig befreien. Es schien mir, als ob er versuchte zu fliegen. Ich hatte das Gefühl er wollte uns alle mitnehmen, er wollte uns eine Zeit zeigen, in der er jung und voller Körperkraft war.
Seine Hände zitterten, seine kleinen Augen waren voller Tränen. Mit jeder Bewegung seiner Hand, habe ich gesehen, wie er einen Körper im Raum befreite, es war unser Körper.
Sein Sohn sagte, dass er sich damit für die Performance bedanken wollte und schenkte unszwei Bücher von Kazuo Ohno. Und da es spät geworden war und der letzte Zug nach Tokio bald fahren würde, hatten wir nicht länger Zeit zum Essen. Wir verabschiedeten uns und schenkten dem Studio auch ein Foto von einer unserer Lalish Theaterlabor Performances. Man hat uns noch das Essen eingepackt, damit wir es im Zug zu essen könnten.
Hauptsache habe ich diese Begegnung einfach auf allen Ebenen genossen, so dass sie zu einem der unvergesslichen Erlebnisse meines Lebens geworden ist.