Der Kreis und sein besonderes Verhältnis zu Materialität, Medialität und Ästhetizität der Performance im Lalish Theaterlabor
Ein Raum, in dem die Umgebung zu einem „Überall und Nirgends“ –
zu einem Ritualort wird und die Zeit sich in ein „Immer und Nie“ – in eine Ritualzeit verwandelt. (Nigar Hasib)
Im Lalish Theaterlabor stehen Materialität (Räumlichkeit, Körperlichkeit, Stimme etc.), Medialität (Interaktion mit Zuschauern, Reaktionen etc.) und Ästhetizität (Ereignischarakter) in einem außerordentlichen Verhältnis zum Kreis. Sie sind von ihm unmittelbar geprägt.
Hier stehen der Performer bzw. sein Körper und seine Stimme, die Handlung, das Tun, das Treffen der Menschen aufeinander, im Zentrum des Kreises.
Daher ist der offene kreisförmige Raum des Lalish Theaterlabors nicht nur als geometrischer Raum zu verstehen, sondern viel mehr als ein performativer Raum, der eine besondere Möglichkeit für eine neue Beziehung zwischen Akteuren selber, zwischen den Akteuren und den Zuschauern, sowie zwischen den Zuschauern untereinender, eröffnet, und das in Bezug auf Energieaustausch. Diese Form des Kreises bestimmt die Performativität der Aufführung, sie ändert die Wahrnehmung der Anwesenden dessen, was sich gerade ereignet.
Hier werden Stimme und Körper eine andere Wirkung hervorrufen. Die Stimme verteilt sich anders, dadurch ist das Hören auch klarer und wirksamer. Der Köper ist dreidimensional, die Schatten und das Licht sind greifbarer und fühlbarer, daher werden das Schauen und Sehen intensiver.
Durch die Kreisform eines Raumes, können die Zuschauer, die rundherum die Aufführung ganz nahe erleben und erfahren werden, nicht nur die Akteure, sondern auch einander sehen und beobachten. Ihr Blick wird nicht mehr linear von rechts nach links oder rauf und runter, sondern eher wellenartig gleiten, spiralartig sein, nicht nur auf ein Detail fokussiert. Dadurch entsteht die Möglichkeit den ganzen Raum wahrzunehmen, die Decke, den Boden, Vorne und Hinten, usw.
"Als wichtige Voraussetzung zum Übergang zur Lalish Theaterlabor Forschungsarbeit erweist sich die „Ritualisierung des Raumes“. Lalish setzt sich bewusst mit diesem Prozess, als eine Art der Demokratisierung des Raumes, auseinander. Denn in einem Kreis steht niemand im Zentrum, niemand ist unsichtbar, alles bleibt optisch offen und bietet eine harmonische Einheit, wodurch sich die Möglichkeit der Sichtbarkeit aller Anwesenden eröffnet. Dieser offene, leere Raum soll von den Anwesenden gemeinsam erfüllt und zum Leben erweckt werden." (Nigar Hasib)
Der Raum an sich ist rechteckig, fast quadratisch, die Zuschauer sitzen aber im Kreis, die Performance findet im Kreis statt. Für das Lalish Theaterlabor sind diese zwei Formen, das Quadrat und der Kreis, sehr bedeutend. Denn wie auch nach vielen wissenschaftlichen Ansichten in unterschiedlichen Bereichen, zeigt ein Quadrat auf die materielle Welt, dagegen weist der Kreis auf die geistige Welt hin. Im Lalish Theaterraum begegnen sich diese beiden Welten wieder, sie vereinigen sich wieder und somit vereinigen sich die geistliche und materielle Welt des Menschen, der Akteure und der Zuschauer, welche sich in diesem Raum befinden –siehe den folgenden Entwurf-.
Der Kreis im Lalish Theaterlabor ist offen und präsentiert sowohl ein betontes Zentrum (Handlung, Akteure) als auch einen betonten Rand (Zuschauer). So spielen Zentrum und Rand hier eine wichtige Rolle beim Vollzug und der Vollendung des Ereignisses, der Handlung. Der Kreis ist voller Spannung. Denn durch das betonte Zentrum (Handlung) bringen Lalish Theaterlabor Feiernde das Chaos des Lebens in die Stille, und durch den betonten Rand (Zuschauer) das Chaos des Zentrums des Ereignisses, der Handlung, in die Stille des Lebens. Da der Kreis ohne Ecken und Kanten ist, haben auch Kulissen und Vorhänge hier keinen Platz, man kann sich nicht verstecken, alles geschieht hier und jetzt.
Alle Lalish Theaterlabor Performances werden im Kreis durchgeführt, manchmal sitzt Publikum sogar unmittelbar in dem Kreis, also im Bereich der Akteure. Manchmal bestand der Kreis nicht nur aus den im Kreis sitzenden Zuschauern, sondern wurden auch Essen und Trinken unmittelbar in den Kreis integriert, wie etwa in der Performance „Also sprach Gilgamesch“ im Jahr 2001. In dieser Performance gab nach jedem zweiten Podest, auf dem das Publikum saß, einen Tisch mit Speisen und Getränken –links und rechts der Zuschauers gab es gekochten Weizen, Nüsse, Äpfel, Brot, Joghurt, Wein, Wasser, Saft-. Die Zuschauer saßen im Kreis, die Handlungen geschahen im Kreis, die Performer spielten auf runden Rahmentrommeln und tanzten im Kreis. Es wurde im Kreis gegessen und getrunken. Es wurde eine Gemeinschaft geschaffen, durch die allgemeine Atmosphäre, aber vor allem durch den Kreis, erinnernd an den Kreislauf des Lebens. (siehe folgende drei Bilder)
Der Raum, in dem Lalish Theaterlabor Performances und Aktionen durchgeführt werden bzw. sich ereignen, soll selbst schon dazu tendieren performativ zu sein. Die Performances können nicht in irgendwelchen Räumen durchgeführt werden. Also der Raum soll ein gewisses atmosphärisches bzw. energetisches Etwas haben, denn obwohl die wahre Räumlichkeit der Lalish Performances erst durch den Ablauf der Handlung hervorgebracht wird, stehen die Räumlichkeit der Performance und die des Raumes selbst, einander sehr nahe. Das Areal alleine, in dem sich die Performance entfaltet könnte ja auch nur als geometrischer Raum bezeichnet werden.
"Der Raum, in dem eine Aufführung stattfindet, kann zum einen als ein geometrischer Raum begriffen werden. Als solcher ist er bereits vor Beginn der Aufführung gegeben und hört mit ihrem Ende nicht auf zu bestehen. Er verfügt über einen bestimmten Grundriss, weist eine spezifische Höhe, Breite, Länge, ein bestimmtes Volumen auf, ist fest und stabil und im Hinblick auf diese Merkmale über einen längeren Zeitraum unverändert. Mit dem geometrischen Raum ist häufig die Vorstellung von einem Container verbunden. Der Raum wird als eine Art Behälter aufgefasst, der in seinen wesentlichen Merkmalen von dem, was sich in ihm ereignet, nicht tangiert wird. Auch wenn der Fußboden mit der Zeit Löcher und Unebenheiten aufweist, die Farben verblassen, der Putz von den Wänden bröckelt, bleibt der geometrische Raum derselbe." (Erika Fischer- Lichte)
Dann stellt sie den performativen Raum als solchen dar, der eine andere Beziehung zwischen Zuschauern und Akteuren ermöglicht; "Zum anderen ist der Raum, in dem eine Aufführung sich abspielt, als ein performativer Raum aufzufassen. Er eröffnet besondere Möglichkeiten für das Verhältnis zwischen Akteuren und Zuschauern, für Bewegung und Wahrnehmung, die er darüber hinaus organisiert und strukturiert." (Erika Fischer- Lichte)
Im Gegenteil zu anderen Räumen, ist und bleibt der Lalish Theaterraum ein performativer Raum sowohl vor, als auch während und nach der Performance. Hier wird die Energie zirkuliert, dadurch eine besondere Wirkung und Atmosphäre hervorgerufen, und in Folge wird auch eine neue Beziehung zwischen den Anwesenden geschaffen.
Diese neue Beziehung ermöglicht auch eine neue Wahrnehmung, ein neues Verständnis; sie ermöglicht, dass sich aus Zuschauern und Akteuren eine Gemeinschaft bildet.
"Denn in einem Kreis steht niemand im Zentrum, niemand ist unsichtbar, alles steht optisch offen und bietet eine harmonische Einheit, wodurch sich die Möglichkeit für die Sichtbarkeit aller Anwesenden eröffnet. Dieser offene, leere Raum soll von den Anwesenden gemeinsam erfüllt und zum Leben erweckt werden. (…) Diese Kreisstrategie betrifft nicht nur die Anordnung des Publikums im Kreis, sondern auch die Performance und die Körper, die sich in dem Raum befinden. (…) Dieses Verfahren ist besonders relevant und von großer Bedeutung für Menschen in einer Gesellschaft, die keinen gemeinsamen Ursprung und Kultur haben." (Nigar Hasib)
Der Kreis erfordert eine gewisse Wachsamkeit und Aufmerksamkeit von allen Menschen, die sich in ihm befinden, was auch einen Energieaustausch und Dialog zwischen ihnen ermöglicht. Daher kommt auch seine Performativität.
Dementsprechend kommt diesem Raum einen Ereigneischarakter und nicht nur einen rein ästhetischen Werkcharakter zu. Er ist ein atmosphärischer Raum, ein performativer Raum, in dem die Zuschauer ihre Körperlichkeit auf eine besondere Weise fühlen und wahrnehmen. Die Zuschauer aber auch die Akteure selber erleben sich als einen lebendigen Organismus und stehen im Austausch mit der Um-Welt. In diesem performativen Kreisraum des Lalish Theaterlabors erfahren die Menschen eine andere Ebene des Lebens. Da in den Performances des Lalish Theaterlabors die Sprache keine prämiere Funktion hat, sondern die stimmliche und körperliche Erfahrung in den Vordergrund rückt, steht auch die Ästhetik der Atmosphäre als Gegenthese zu einer semiotischen Ästhetik.(Vgl. Gernot Böhme)
Die Atmosphäre wird durch die Form des Raumes, in dem die Performance sich ereignet, geschaffen. Und der Kreis wiederum schafft hier eine ohnehin energetische Atmosphäre.
Ist ein Raum völlig neu gebaut, mit modernsten Techniken ausgestattet, oder ein alter Raum mit einer gewölbten Decke, mit Kerzen und schwachem Licht mehr oder weniger beleuchtet, vielleicht ein Raum der weder noch so alt oder ganz so neu ist, ein einfacher Raum mit vielen schwarzen Vorhängen von allen Seiten eingepackt, das alles bestimmt die Atmosphäre, entweder eine ganz besondere, offene, freie und wirksame oder eine nicht so besondere und vielleicht sogar erdrückende Atmosphäre.
Neben Körper und Stimme des Performers spielen, nicht nur die Form des Raumes, sondern auch die Farben des Raumes, des Lichtes, der Kostüme, der Objekte, bei der Schaffung einer bestimmten wirksamen Atmosphäre, eine große Rolle. Das Phänomen der Atmosphäre ist also auch eng mit dem der Räumlichkeit verbunden.
Der Kreisraum des Lalish Theaterlabors wird im Ganzen beleuchtet. Nicht nur der Aktionsraum in der Mitte wird bestrahlt, sondern, und das ist das Wesentliche hier in diesem Raum, auch der Zuschauerraum wird, durch Scheinwerfer erhellt, zum Aktionsraum. Die Zuschauer sitzen nicht im Dunkeln, sie sind sichtbar für die Akteure und für einander. Oft wird hier eine helle Honigfarbe verwendet, eben für Schaffung einer allgemeinen wirkungsvollen Atmosphäre. Die Farbe der Kleider der Performer ist meistens schwarz, bei den weiblichen Akteure sind es breite Röcke und ein Oberteil, bei den männlichen ein Oberteil und Hose. Es werden oft auch breite und lange Stoffe in den Handlugen verwendet, diese sind schwarz oder weiß und manchmal auch rot.
Atmosphäre und Stimmung entwickeln die Beziehungen zwischen Individuen weiter. Im Lalish Theaterlabor entwickelt sich die Atmosphäre in verschieden Phasen: Die Vorbereitungsphase, die persönliche Begrüßung und der persönliche Empfang der einzelnen Zuschauer durch die Performer; dann bei der Durchführungsphase, da die Handlungen sich inmitten der Zuschauer, in unmittelbarer Nähe und in einer ungetrennten kreisförmigen Räumlichkeit ereignen, ist auch hier ein unmittelbarer Augenkontakt schwer zu vermeiden. Der Kreis bringt Zuschauer und Akteure zusammen. Obwohl der direkte Augenkontakt bei einigen Zuschauern manchmal ein unsicheres Gefühl hervorruft oder den Eindruck der Enge und Befangenheit erweckt, verwandeln sich diese aber sehr bald in ein sicheres und vertrauliches Gefühl. Am Ende ergänzt eine Nachbereitungsphase, in Form von gemeinsamen Essen und Trinken die gesamte Atmosphäre.
Sogar bei der Arbeit in der Natur verzichtet Lalish Theaterlabor nicht auf den Kreis. Gerade in der Natur wirkt der Kreis besonderes stark. Hier können die Zuschauer sich frei bewegen und dort wo etwas geschieht, werden sie sich versammeln, rund herum stehen oder sitzen, um zu beobachten, zu erleben. Einige der Lalish Theater Performances wurden auch auf der Straße, mitten unter den Passanten durchgeführt hier hat der Kreis wiederum bewusst die Handlungen und die Anordnung der Zuschauer geprägt.
Folgendes sind einige Fotos des Lalish Theaterlabors in seinem eigenen Theaterraum im 18. Wiener Gemeindebezirk, auf der Straße und in der Natur, aber auch in anderen Theaterräumen in Österreich und im Ausland:
Lalish Theaterlabor, der Raum in Wien
"Antigone 2000" Eine Zusammenarbeit mit Parata Labor/Frankreich;
Konzept und Leitung: Walter Pfaff. Auf St. Gotthard in der Schweiz.
In einer Höhe von über 1800 m. 1999
"Karawane" Wiens erster Bezirk, zwischen den drei Museen,
auf der Ringstrasse. 2000
"Projekt: Niederhof" Performance in der Natur, 2007
am Niederhof bei Lilienfeld/Niederösterreich.
Konzept und Leitung: Nigar Hasib und Shamal Amin
Verfasser: Shamal Amin. Oktober 2008, Wien
Ein Kapitel aus der Diplomarbeit: Der performative Kreis/Der Kreis in Ritual und Performance